לֹא בְחַיִל וְלֹא בְכֹחַ כִּי אִם בְּרוּחִי אָמַר יְהוָה צְבָאוֹת
SYNAGOGEN-GEMEINDE KÖLN
KÖRPERSCHAFT DES ÖFFENTLICHEN RECHTS
Home Jahresempfang 2024

Jahresempfang 2024

Wir sind Juden. Wir sind Israel !

Auf der Leinwand ist ein Video zu sehen – unbeschwert spielen Kinder an der Rheinpromenade, schöne, idyllische Bilder. Bis der Satz fällt: „Sag niemandem, den du nicht kennst, dass du jüdisch bist“, – das, erzählt ein Mädchen, sagt ihr ihre Mutter. Später sagt ein Kind: „Ich möchte den Menschen mit offenem Herzen begegnen, ohne Angst, ohne Misstrauen und vor allem – ohne Hass.“

Angelehnt an diese Szene beginnen Vorstandsmitglieder Bettina Levy und Dr. Felix Schotland ihre Ansprache: „Können wir unser Jüdisch-Sein uneingeschränkt leben, auch außerhalb dieser Mauern?“ Diese Frage stellen sich heute Juden weltweit, nicht nur in Köln…

Wie alle Veranstaltungen der letzten sechs Monate stand auch der traditionelle Jahresempfang im Zeichen des 7. Oktober. „Dieser Ort, an dem wir uns heute treffen, ist für uns viel mehr als nur ein Gotteshaus. Es ist unser Zuhause, das Zuhause der jüdischen Gemeinschaft in Köln.“  Bettina Levy blickt in die Geschichte zurück: „Direkt nach der Schoa kamen nur sehr wenige Juden in Köln aus ihren Verstecken hervor, nur wenige Überlebende kehrten in ihre Heimatstadt zurück…

Mit dem Wiederaufbau dieser Synagoge hat Köln uns ein Versprechen gegeben. Das jüdische Erbe sollte gewahrt werden, lebendiges Judentum sollte wieder etabliert werden, kein museales, nein, lebendiges Judentum in der Mitte unserer Stadt.“

Dr. Felix Schotland wies darauf hin, dass es seit dem 7. Oktober einen Anstieg antisemitischer Vorfälle um 320% gab – das sind 2.248 deutschlandweit bis Januar 2024. Auf Köln bezogen bedeutet das: Seit dem 7. Oktober gab es keinen Tag ohne antisemitischen Vorfall.

Levy und Schotland berichten über die Stimmung in der Gemeinde, über Unsicherheit und Ängste; über Eltern, die besorgt über die Sicherheit ihrer Kinder sind. Jüdische Studenten, die alltäglich mit antisemitischen und antiisraelischen Anfeindungen konfrontiert sind. Vor einem Jahr stellten angesichts des zunehmenden und immer aggressiveren Antisemitismus Bettina Levy und Dr. Felix Schotland in ihrer Begrüßungsrede laut die ewige Frage: „Koffer einpacken oder Koffer auspacken?“. „Heute ist es: ‚Vor dem 7. Oktober … nach dem 7. Oktober‘.

Vor dem 7. Oktober haben wir oft diskutiert: Sind wir jüdische Deutsche? Deutsche Juden? Juden in Deutschland? Nach dem 7. Oktober spielt diese Frage keine Rolle mehr, sie ist irrelevant geworden. Wir sind Juden. Und wir sind Israel. Auch wir sind Teil des Gemetzels vom 7. Oktober geworden.“

Juden wurden bei einem Massaker gezielt und barbarisch ermordet. Der Hass kenne keine Grenzen, er habe alle Juden in Israel für die Mörder gleichgemacht. Das Ziel der Hamas ist nicht ein Staat für die palästinensische Bevölkerung, sondern die Auslöschung aller Juden weltweit – und sie machen kein Hehl daraus.

„Ist das, was Antisemiten hier wollen, etwas anderes?“, fragt Bettina Levy. „Ist das, was radikale rechte und auch linke Ideologien und Parteien in Europa predigen, etwas anderes? Nie wieder ist jetzt. Wir sind schon längst im ‚wieder‘ angekommen.

Diese Realität ist nicht nur in unseren Gedanken und Sorgen präsent, sie hat unser Herz und unsere Seele angegriffen. Wir sind Juden. Wir sind Israel.“

Das Leben wird nie wieder wie vor dem 7. Oktober sein. Kaum ein Jude in der ganzen Welt ist von den Geschehnissen unberührt. Es hat uns als Juden verändert, auf unterschiedlichste Weise unser Verhältnis zu Israel neu definiert, die Frage aufgeworfen: Können wir überhaupt noch irgendwo sicher jüdisch leben?

Doch: „Wir überstehen das, aber nur gemeinsam.… Wir können uns nicht erlauben, uns klein zu machen, unsichtbar zu sein oder unser jüdisches Leben leiser werden zu lassen“, betont Levy. Das habe noch nie funktioniert.

Judenhass und Antisemitismus funktionieren ganz ohne jüdisches Leben, ohne Juden. „Antisemitismus wird nicht verursacht und kann nicht durch irgendetwas ‚ausgelöst‘ werden. Er ist immer und immer und immer ohne jegliche Berechtigung.“ Seit Jahren werde betont, wie wichtig es sei, Schulen und Lehrkräfte zum Thema Antisemitismus weiterzubilden. Das müsse dringend umgesetzt werden.

Der Kinderchor der Synagogen-Gemeinde Köln trug gemeinsam mit Kantor Tauber das Mi Sheberach L’Tzahal vor

Bettina Levy und Dr. Schotland betonten, wie gefährlich der Aufschwung des Antisemitismus sei, verpackt als „Israelkritik“ – es wird immer unerträglicher. Wir erleben es ständig im Kulturbetrieb in Deutschland. „Es wird dröhnend laut geschwiegen zu dem Überfall durch die Hamas und gleichzeitig wird antisemitischen Äußerungen eine Bühne geboten. Unter dem Deckmantel der selbstverständlichen Freiheit der Kunst wird relativiert, ein falsches Bild gezeichnet. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Kulturlandschaft. Einige mögen glauben, dass dies erst am 7. Oktober begann. Doch wir wissen eigentlich alle, dass dem nicht so ist. Die falsche Wortwahl führt zu einem falschen Bild, zu falschen Schlussfolgerungen für den Zuhörer.“ Soziale Medien verbreiten Falschmeldungen mit ungeheurer Geschwindigkeit.

Nach dem 7. Oktober hat der Vorstand in allen seinen Reden und Interviews immer betont:
„Bleiben Sie uns gewogen, auch wenn der Kampf in Israel hässlich wird.“

Vertreter*innen aus Politik, Justiz und Verwaltung, zahlreiche Mitglieder des Landtages, Ratsmitglieder der Stadt Köln und Abgeordnete der Bezirksvertretungen, Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Vorstandsmitglieder der DIG Köln, Vertreter der christlichen Kirchen, Repräsentanten der demokratischen Parteien aus Köln, Kollegen der jüdischen Nachbargemeinden und LVs, Vertreter der Wohlfahrtsverbände, Vertreter*innen der Kölner Kunst, Kultur und Sport, sowie Mitglieder und ehemalige Mitglieder der Gemeindevertretung gehörten zu den etwa 430 Gästen.

Bettina Levy und Dr. Felix Schotland dankten „… Ihnen, die Sie heute hier sind, für Ihre Unterstützung. Sie waren bei vielen Kundgebungen, Demonstrationen und Gegendemonstrationen an unserer Seite.“

Der Landesregierung sprachen sie zudem im Namen der Synagogen-Gemeinde Köln ihren Dank aus für die Genehmigung von weiteren Mitteln für Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen. Auch dankten sie für die vielen Spenden, die nach dem 7. Oktober bei der Gemeinde eingegangen sind und die nach Israel weitergeleitet wurden. Auch für die einfache Frage: „Wie geht es Dir?“.

Polizeipräsident Johannes Hermanns
verspricht, die Sicherheit der jüdischen
Gemeinschaft zu gewährleisten

Dr. Schotland appellierte an alle Anwesenden: „Denken Sie bitte immer daran, dass Ihre Worte, Ihre Einstellung und Ihre Handlungen einen Unterschied machen. Wir brauchen ein Umdenken, aber das betrifft uns alle, nicht nur jüdische Menschen. Wir lassen zu viel zu! Und die gesellschaftliche Mitte schweigt oder sie löst sich im politischen ‚rechts‘ oder ‚links‘ auf. Die Mitte muss selbstbewusst und eine eigene Kraft sein. Dann kann sie auch etwas bewegen.“

Ein Blick zu Leinwand. Ein Video, das jedes Mal aufs Neue überwältigt und Gänsehaut erzeugt: 1000 Israelis im Amphitheater Caesarea singen mit einer Stimme „Habaita“ und fordern die Welt auf, für die Freilassung der Geiseln zu kämpfen.

BRING THEM HOME!

Während des Videos wurden an alle Gäste Halsketten mit Anhängern verteilt, auf denen auf Hebräisch „Ha lev shelanu shavui be Aza.“ (Unser Herz ist in Gaza gefangen.) und auf Englisch: „Bring them home now!“ eingraviert ist.

„Habaita“ bedeutet „nach Hause“. „Wir können [heute Abend] nach Hause gehen, unsere Geiseln in Gaza können es nicht“, hob Bettina Levy hervor. „Nichts wünschen wir uns mehr, als dass sie und unsere Soldaten nach Hause kommen.“

Vor einigen Jahren hatten sie und Dr. Schotland am 9. November dazu aufgefordert, den Namen eines Kindes aus Köln, das in der Schoa ermordet wurde, in Gedanken mitzunehmen, damit es nicht vergessen wird.

Heute brauchen die israelischen Geiseln in Gaza dringend einen Namen. Damit man sie nicht vergisst. Langsam verschwinden sie hier aus den Medien. Im Gemeindesaal hängen die Bilder der Geiseln mit Namen. „Auch heute möchten wir Sie auffordern, nehmen Sie ein Bild, einen Namen mit. Geben sie diesem Menschen einen Platz in Ihrem Leben“, rief Bettina Levy auf.

Die „Bring them home“-Ketten werden weltweit getragen, um das Schicksal der Geiseln lebendig zu halten.

Bürgermeister Andreas Wolter: Bekämpfung
des Antisemitismus soll
oberste Priorität sein

Dr. Schotland ergänzte: „Das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza berührt uns zutiefst. Dennoch – es fallen konstant Bomben auf Israel. Es ist das legitime Recht Israels sich zu verteidigen. Doch darüber spricht niemand mehr. In den Medien und der Politik wird Israel in die Rolle des Aggressors gedrängt.“ Die volle Verantwortung für das unermessliche Leid in Israel und auch im Gazastreifen liege jedoch bei den Terroristen der Hamas. „Die Kämpfe könnten sofort beendet werden, wenn die Terroristen die Geiseln freilassen und die Waffen niederlegen. Nach wie vor: Israel hat das Recht sich zu verteidigen.

Am Israel Chai!“

Auf diese sehr starke und emotionale Rede folgte das Mi Sheberach-Gebet für die IDF-Soldaten, vorgetragen vom Kinderchor der SGK unter der Leitung von Kantor Mordechay Tauber.

Als Vertreter des Stadtrates wandte sich Bürgermeister Andreas Wolter an das Publikum. Er bezeichnete Antisemitismus als eine Schande, das Leid der Geiseln als unerträglich. Jüdisches Leben müsse in Köln angstfrei möglich sein, aktive Bekämpfung des Antisemitismus solle daher oberste Priorität sein.

Auch der Polizeipräsident von Köln und Leverkusen, Johannes Hermanns, betonte, dass jüdische Geschichte und Menschen einen festen Platz in unserer Stadt haben. Er versicherte, dass die Polizei alles tun werde, um dies zu gewährleisten. Er habe ein sehr bedrückendes Gefühl gehabt, als er an der Synagoge angekommen war. Besucher sehen vor der Synagoge zunächst einen Streifenwagen mit freundlichen, aber schwer bewaffneten Polizisten, müssen dann eine Sicherheitsschleuse passieren. „Das ist weit von dem entfernt, was wir unter einem sicheren Ort verstehen.“ Herr Hermanns betonte auch, dass die Polizei die eigene Geschichte nicht verschweigen könne. Im Kölner Präsidium hingen auch die Porträts von zwei Präsidenten aus der Zeit des Nationalsozialismus. „Es schmerzt mich und meine Kollegen zutiefst, dass unsere Institution, die schützen soll, ein Teil des Unterdrückungsapparats geworden war. Heute steht die Polizei auf dem Fundament der Rechtsstaatlichkeit. Solange der Schutz jüdischer Einrichtungen und Menschen nötig ist, werden wir das Wohlergehen der jüdischen Gemeinschaft gewährleisten und uns jeglichem Antisemitismus entschlossen entgegenstellen“, versicherte er.

Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung durch Kantor Mordechay Tauber, das Duo Segotal, den Kinderchor der SGK und Moti Ben David.
Ein großer Dank gebührt allen Mitwirkenden, die den Jahresempfang mit genauer Planung, viel Kreativität und großem Engagement vorbereitet haben.

Nach dem sehr bewegenden offiziellen Teil in der Synagoge, bei dem die Solidarität mit Israel und den Opfern des Terrors im Vordergrund standen, wurde der Empfang im Gemeindesaal fortgesetzt.

Auch dieses Jahr konnte man die Gelegenheit nutzen, alte Bekanntschaften zu festigen und neue zu gründen.

Beim Verlassen der Gemeinde erhielten die Gäste ein Exemplar der „Festschrift der Synagogen- Gemeinde Köln zu 1700 Jahren“ – ein wunderschön gestaltetes Buch, das auch die Geschichte und das heutige Leben der Gemeinde beschreibt.

N.M.