“Weinhebers Koffer”
Datum: Sonntag, 2. Oktober 2022, 19:00 Uhr
Veranstaltungsort: Synagogen-Gemeinde Köln, Roonstr. 50, 50674 Köln
Tickets: 20€/10€, für Gemeindemitglieder 13€/7€
Ticketverkauf: event@sgk.de
Rezension von Jeanette Krymalowski:
Am 27. Juni 2022 habe ich mir in der Volksbühne das Theaterstück „Weinhebers Koffer“ angesehen, dessen Premiere eine Woche vorher stattgefunden hatte. Es ist die Geschichte einer Spurensuche, auf die sich der Protagonist Elias Ehrenwerth, ein Journalist im heutigen Berlin, begibt. Auf der Suche nach einem originellen Geburtstagsgeschenk für seine Freundin Lisa Winter, entdeckt er in einem Trödelladen einen alten Lederkoffer mit ihren Initialen. Bei näherer Betrachtung findet er in dem Koffer die Visitenkarte des früheren Besitzers:
Elias findet heraus, dass Leonard Weinheber ein jüdischer Schriftsteller war, dem die Nationalsozialisten Berufsverbot erteilt hatten und der sich schließlich auf den Weg nach dem damaligen Palästina begab.
Einfühlsam beschreibt der renommierte Autor und Journalist Michel Bergmann die Spurensuche durch die Zeiten und Länder anhand von Recherchen, Briefen und Gesprächen. Das Theaterstück ist die Umsetzung des Buches mit Schauspielern, die das Geschriebene in eindrucksvollen Szenen darstellen. Mit leichter Sprache, verwoben in eine hoffnungsvolle Liebe, spiegeln die Briefe die immer aggressiver werdenden Restriktionen des Nationalsozialismus wider und zeigen einen von vielen in dieser Zeit versandeten Lebensträumen. Die deutschen Juden fühlten sich als Deutsche, waren maßgeblich an der deutschen Kultur beteiligt: In Literatur und Musik, Philosophie und Psychologie, Physik und Politik.
Die deutsch-jüdische Symbiose erreichte ihren Höhe- und zugleich ihren Schlusspunkt, als 1933 die Nationalsozialisten die Kulturpolitik beeinflusst haben und ihren Hass auf die Juden bis zur systematischen Vernichtung planten und ausführten.
Die Recherche führt Elias nach Israel, wo er Cary trifft, die in Berlin lebte und 1939 nach Palästina ausreiste. Auf dem Schiff lernte sie Leonard Weinheber kennen und in gemeinsamen Gesprächen kam sie ihm sehr nahe. Wie auch Cary, die überzeugend von Britta Shulamit Jakobi dargestellt wird, haben viele Überlebende des Holocaust in Israel neu angefangen und eine Heimat gefunden. Sie haben miterlebt wie am 14. Mai 1948 von David Ben Gurion die Staatsgründung Israels ausgerufen wurde und wie noch in der Gründungsnacht mehrere arabische Staaten dem jungen Staat den Krieg erklärten und ihn angriffen. Die Menschen haben für ihr Land gekämpft, es verteidigt, sind gestorben – in bereits mindestens sieben Kriegen seit der Staatsgründung.
Elias Ehrenwerth wird von Anton Tsirin gespielt. Er ist ein freischaffender Künstler und hat bei diversen Produktionen mitgespielt. Er gründete den Verein „Kibbuz e.V. Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung“ und setzte als Projektleiter mehrere Projekte um u. a. „YouDE“ und Zeitzeugentheater. Hanno Dinger hat viele Jahre auf deutschsprachigen Bühnen gespielt und ist auch als Sprecher zahlreicher Rundfunk- und Hörbuchproduktionen aktiv. Zum Ensemble gehört auch der in Lettland geborene Isai Liven, der eine dreijährige Ausbildung beim Staatstheater für junge Zuschauer absolviert hat und in den 80er Jahren nach Deutschland gekommen ist. Er war auch sechs Jahre Schauspieler der Burghofbühne Dinslaken.
Auch wenn wir nicht alle in Israel leben, ist es doch unser Land. Viele Menschen haben es bebaut, begrünt, fruchtbar gemacht. Hier wird geerntet, gelernt und geforscht.
Israel ist heute nach den USA die bedeutendste Startup-Nation der Welt. Tel-Aviv ist immer in Bewegung und das Zentrum der Startup- und Hightech-Szene. Das von der Regisseurin Britta Shulamit Jakobi und ihrem Ensemble angebotene und gewünschte Publikumsgespräch lädt zum Dialog ein, der sowohl den Schauspielenden als auch den anwesenden Zuschauern die Möglichkeit gibt Fragen zu stellen und ins Gespräch zu kommen.
So ein direkter Gedankenaustausch bietet Chancen – zeigt Miteinander – kann neue Sichtweisen eröffnen, alte Denkmuster aufbrechen und schon sind wir in der Gegenwart mit ihren vielen Baustellen und Krisen, z. B. was es bedeutet aus seiner Heimat vertrieben zu werden, alles zu verlieren – mitten im Europa des 21. Jahrhunderts, in der Ukraine tobt ein grausamer Krieg mit vielschichtigen Folgen. Das Ensemble will auf Diskriminierung, Antisemitismus, Mobbing, Gewalt und Terror aufmerksam machen und dem entgegentreten. So ist „Weinhebers Koffer“ auch ein Vermächtnis, ein Aufruf zu mehr Zivilcourage jedes Einzelnen bis hin zu einem verantwortungsbewussten Miteinander zu jeder Zeit.
Publikumsgespräch; v.li.: Autor Michel Bergmann, Shulamit Jakobi, Isai Liven, Anton Tsirin, Hanno Dinger